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Weinreise ins südliche Apulien

 

Vierhundert Kilometer lang ist Apulien, wir haben vier Tage lang die südliche Hälfte davon bereist. Die Zeugnisse vergangener Epochen des von Griechen, Römern, Byzantinern, Normannen, Staufern und Spaniern eroberten, besetzten oder erheirateten Landes fehlen in der kleinen Dokumentation von Momentaufnahmen. So wenig Zeit war, dass es nur für einen schnellen Blick, ein kurzes Festhalten dessen, was vielleicht "typisch" ist, reichte. Würde man sich Zeit nehmen zu verstehen, dann wäre man, glaube ich, recht verwirrt.

 

Essen in Apulien

Man weiss nie, was auf den Tisch kommt oder eher: wie viel. Man mag sich nach einem wunderbaren überreichlichen Mittagessen geschworen haben, auf alle Fälle bis übermorgen früh von weiterem Schlemmen abzusehen. Es funktioniert nicht. Man wird noch am gleichen Abend schon wieder und immer wieder durch Düfte und Farben von Käsen, Gemüsen, Fischen, Früchten zum Weiteressen verführt.

Verführerisch auch die Auslagen der Gemüsehändler, in den alten Häusern oder an einem Stand am Strassenrand. "Abbiamo cipolllla, cipolllla bianca, cipolllla rossss…" tönt es aus dem Lautsprecher eines fahrenden Zwiebelhändlers am Meer.

Die Restaurants sind unter der Woche spärlich besucht. Wir erfahren, dass die Leute sich nach der Arbeit zum Essen treffen. Es sind lauter Männer. Arbeiten Frauen nicht?

 

Morgens in Mesagne

Mesagne ist eine Kleinstadt in der Provinz Brindisi, nicht die hübscheste Stadt Apuliens, aber eine mit Ausgrabungen von römischen Nekropolen, einer Anzahl unterschiedlich alter Kirchen, von romanisch bis barock, einem durch moderne Anbauten verschandelten Castello aus dem 15. Jahrhundert, einer Stadtmauer und Toren – und immerhin bleibt hier Zeit für einen Morgenspaziergang und den Versuch, etwas vom Leben der Apulier zu erfassen. Der Gemüsehändler hat seinen Stand fertig aufgestellt, aber es fehlen noch die Kunden, will heissen: die Kundinnen. Die sind zur Frühmesse in der Kirche, während die Männer bereits vereinzelt in kleinen Gruppen auf Strassen und Plätzen zusammenstehen. Hat schon einmal jemand berechnet, wie viele Worte da an jedem Tag gewechselt werden? Es vergeht nicht viel Zeit und die Plätze und Strassen sind von Männern voll. Frauen tragen ihre Einkäufe in prallen Plastic-Säcken durch die Gassen. Begegnungen zwischen Männern und Frauen, so will es zumindest scheinen, haben um diese Tageszeit eher Seltenheitswert.

Bleibt noch ein aufgeschnapptes Kuriosum, der Auspuffhändler, respektive die Frage, warum man um Himmels willen in der apulischen Provinz so viele neue Auspüffe braucht.

 

Über Land

Apulien ist weit und flach. So können sich gewaltige Wolkenmassen zusammenballen, ohne dass ein Tropfen Regen fällt. Magna Graecia war die Kornkammer Italiens. Metapont, die griechische Stadt am Golf von Tarent hatte drei Ähren in ihre Münzen geprägt. In der fruchtbaren und reichen lukanischen Ebene wurde Weizen für Griechenland angebaut. Im 20. Jahrhundert war das Land arm. Heute wächst hier "cappello", eine Weizensorte, die sich besonders für Pasta eignet und in wunderbaren goldgelben Broten verbacken wird. Man muss die Teigwaren und das Brot aus diesem Weizen im Lande geniessen, denn ins Ausland kommt kein Gramm davon. Gravina an der Via Appia, die nachts bei Vollmond nur schemenhaft erfasste Stadt, liegt in diesem Weizenland. Olivenhaine, Artischockenfelder, Rebkulturen sind die grau-braun-grünen Flecken in der Landschaft. Die flache Herbstsonne legt eine Palette verschiedener Braun- und Rottöne über die abgemähten Getreidefelder hin.

Die Traubenernte war dieses Jahr, wie überall, besonders früh. So ist es eine Überraschung, dass wir Vincenzo – er hat ein gutes Gespür, wie er sich für unsere Fotos auf seinem blauen Wagen drehen und wenden muss – beim Ernten treffen.

Die apulischen Hunde sind freundlich. Man trifft sie einzeln oder in kleinen Meuten unterwegs an Strassen, in Feldern oder Rebbeständen an. Die sozusagen sozial besser gestellten, die sich optisch überhaupt nicht von obdachlosen unterscheiden, laufen einem auf den Weingütern durchs Bild. Manche Hunde sind so übermässig anhänglich, dass man ihre Schnauze immer am Objektiv kleben hat.

Im Valle dei trulli liegt eines von 25 DOC-Weinbaugebieten, aber hier kommen wir nur wegen der trulli hin. Sie sind sind so schön, das Wort trullo ist so schön, dass das Sichten fast eines jeden Spitzdachs den überdrehten Ausruf "trulli, trulli" provoziert. Locorotondo ist eine ziemlich normale Stadt, wo wie anderswo in dieser Region die baulichen Elemente des Trullo mit der üblichen mediterranen Architektur verschmolzen sind. In Alberobello ist die Baukultur des Trullo derart übersteigert, dass man meinen könnte, in Disneyworld zu sein. Vielleicht liegt's auch daran, dass wir unversehens in der Hochburg des Apulien-Tourismus gelandet sind.

 

Weinschreibende

Die Anderen der Gruppe stammen aus Amerika, Irland, Italien. Michael Lim ist aus Singapur. Er nennt sich Travelling Gourmet, ist eigentlich Zahnarzt und stellt sich unseren Gastgebern jeweils mit "sono il turista buongustaio" vor. Die im Gourmet-Leben unentbehrlichen Vokabeln sind in seinem italienisch-amerikanischen Wörterbuch hervorgehoben. Als eine der ganz grossen Seelen unserer Reise hat er – gespiegelt und gerahmt vom Platzteller zwischen dem secondo piatto und den dolci – ein eigenes Portrait verdient.

 

Am Meer

Das Meer ist spiegelglatt, am Horizont unzählige Fischerboote. Am Vortag war das Meer zu rau, und nun nutzen die Fischer die Gelegenheit besonders lang. Die ersten Boote sind allerdings bereits zurückgekehrt und gegen die sengende Sonne mit alten Decken geschützt. Zwei Fischer putzen frisch gefangene polpi, auf Eis liegen Fische und Krebse. Den Fang darf ich fotografieren, die Fischer natürlich auch, und dann wollen sie ein Bild von mir machen mit einem Fisch in der Hand, und auf einmal sind ganz viele Leute da, die das Palaver im Bari-Dialekt und in Italienisch mitverfolgen. Im Dorf treffe ich den "Mister Minit" von Palese, der sich gerne vor Bildern eines Hauses fotografieren lässt, das er verkaufen möchte, vielleicht wüsste ich ja jemanden in der Schweiz… Die Frau am Gemüsestand ist auch einverstanden, fotografiert zu werden. Bevor ich ihre Zustimmung verstehe, schaut der Ladenbesitzer aus der Tür, und nun sind sie beide im allerletzten Apulien-Bild.

Lisanne Christen, Oktober 2003

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